2003 Tolmin

Zum allgemeinen Umgang mit dem folgendem Reisebericht

Einen Reisebericht schreibt man vorrangig aus drei Gründen:

  • zum einen, um die Erinnerung an einen Urlaub, vor allem in dessen Details, zu konservieren;
  • zum anderen, um den Leser, welcher, aus irgendwelchen Gründen auch immer, nicht mitfahren konnte oder wollte, an schönen Erlebnissen wenigstens im Gedanken teilhaben zu lassen;
  • und schließlich, um Nichtmitgereisten Informationen zu übermitteln, die die Planung für einen Urlaub mit gleichem Ziel erleichtern.

Der Bericht wird umso besser angenommen, je flüssiger er zu lesen ist. Dabei spielt die Kenntnis des Adressatenkreises eine große Rolle. Gerade dies ist aber bei einem Bericht über einen Gleitschirmausflug alles andere, als einfach.

Die Mitglieder eines Gleitschirmclubs beispielsweise entstammen für gewöhnlich völlig unterschiedlichen Milieus. Man erkennt die Bandbreite der Charaktere schon an deren Trinkgewohnheiten:

  • Hier gibt es zunächst die ‚goldene Mitte’, also sozusagen die normalen Leute, welche täglich mehr als zehn, selten aber über zwanzig Flaschen Bier zu sich nehmen.
  • Das Extrem am einen Ende der Skala stellen die ‚Tragerltypen’ dar, also solche Personen, welche sich eine 5%Alc.Vol.-Verpackungseinheit nicht gern mit anderen teilen, bei denen mehr, als zwanzig Flaschen pro Tag, quasi zum lebensnotwendigen Grundumsatz gehören.
  • Im Süden Gott-sei-Dank schon so gut wie ausgerottet, bei Norddeutschen Vereinen jedoch vereinzelt immer noch anzutreffen, ist schließlich das andere Extrem, nämlich strickte Antialkoholiker, mit im Mittel nur fünf oder sechs Flaschen täglichen Bierkonsums.

Um die volle Skala von Lesern zu erreichen, ist der folgende Reisebericht, wo nötig, in zwei Teile aufgetrennt. Links die Reiseprospekt-Version, welche vom Lesertyp der dritten Kategorie bevorzugt werden dürfte, rechts jeweils in Ergänzungen oder leichten Umformulierungen die unverblümte Wahrheit, die in der Regel wohl eher die ersten beiden Kategorien anspricht.


Reisebericht, Tolmin / Slowenien August 2003


Um die volle Skala von Lesern zu erreichen, ist der folgende Reisebericht, wo nötig, in zwei Teile aufgetrennt. Blau hinterlegt die Reiseprospekt-Version, welche vom Lesertyp der dritten Kategorie bevorzugt werden dürfte, grau hinterlegt jeweils in Ergänzungen oder leichten Umformulierungen die unverblümte Wahrheit, die in der Regel wohl eher die ersten beiden Kategorien anspricht.


Reisebericht, Tolmin / Slowenien August 2003


Der Sommer 2003 war schweineheiß. Trotzdem war es uns lieber, weiter südlich, weit weg von zuhause, den diesjährigen Urlaub zu verbringen. Es muss schließlich immer einkalkuliert werden, dass wir uns am anvisierten Urlaubsort in Zukunft nicht mehr sehen lassen können. Besser also, wenn sich das Drama weit entfernt abspielt, als wegen ungebührlichen Verhaltens für immer aus der Heimat verbannt zu werden.

Dabei waren.........

- von den Erwachsenen bis hin zu den Kindern also nur ‚normale Leute’ (im Sinne der obigen Einteilung). Außerdem hatte Angiiieee ihren flohzerfressenen Köter mit im Gepäck.

... das wichtigste war uns eigentlich, dass die Sauferei nicht zu teuer wird



Aus mehreren früheren Urlauben kannten Arno und ich vor allem das Fluggebiet um Kobarid sehr gut, aber auch die anderen fliegerischen Highlights entlang des Socatals (um Bovec, bei Tolmin oder Nova Gorica) hatten wir schon abgehakt. Diesmal sollte es also etwas neues sein.

Melanie schlug den Bohinje See in mitten der Karawanken vor, wo sie vor einigen Jahren schon einmal gleitschirmmäßig unterwegs war. Es stellte sich aber heraus, dass der See mittlerweile offensichtlich kein Geheimtip mehr, also besser gesagt völlig überlaufen ist. Kurzerhand disponierten wir um und landeten nun doch wieder an der Soca.

Dieser wohl schönste Fluss des Landes entspringt im nordwestlichen Teil Sloweniens im Triglav Nationalpark/Julische Alpen, wo wild zerklüftete Berge mit weit über 2500 m Höhe die Landschaft formen. Auf ihrem Weg Richtung Süden, bildet die Soca ein herrliches Tal, das sich umso stärker verbreitert, je näher man dem Mittelmeer kommt. Auch die angrenzenden Berge verändern ihren Charakter mit jedem Kilometer, den man dem Flusslauf folgt; sie werden immer niedriger und weniger schroff, bis bei Nova Gorica dann, etwa 60 km von der Meeresmündung entfernt, schließlich nur noch ein paar Gras- und Waldhügel als Erhebungen übrig bleiben. Die unterschiedlichen schnell wechselnden Landschaftszonen machen das Fliegen in Slowenien sehr abwechslungsreich. Entlang des Tals gibt es etliche Startplätze, die mit einem eigenen fahrbaren Untersatz, einem Flugtaxi (Preis meist um die 6 Euro) oder, wie im Fall des Kanin bei Bovec (Einfachfahrt etwa 7 Euro), mit einer Sesselbahn zu erreichen sind.

Wir ließen uns diesmal nahe Tolmin nieder, auf einem relativ unerschlossenen Campingplatz (Maya-Camp / Johnson; Preis pro Nacht und Person: 1,30 €, Kinder zahlen nichts) ...

... nichts für Leute mit permanentem Harndrang! So musste entweder die Soca ständig herhalten oder der an den Campingplatz angrenzende Wald (ziemlich verschissen!). Maxi war das ständige Hin-und-Her offenbar bald leid, er erledigte nämlich einmal sein Geschäft (groß) unmittelbar vor dem Zugang zu Melanies Camper. Großer Vorteil: Preise für Bier und Wein wie bei Adolfo!

Ansonsten zeichnet sich das Camp durch eine geniale Lage aus:
Unmittelbar an die etwa 10m hohe mäßig ansteigende Böschung der Soca grenzt das Plateau, wo die Zelte auf- oder die Schlafmobile abgestellt werden. Jeder kann sich hier sein eigenes Plätzchen selbst aussuchen und, in Anbetracht der Größe des Areals, sich nach Belieben ausbreiten. Daher stört es auch kaum, wenn der Nachbar sein Radio lauter aufdreht, als auf anderen Plätzen vielleicht üblich, oder wenn am freien Feuer gegrillt wird – hier ist alles erlaubt.

Das Wasser ist wirklich herrlich. Ausgenommen zu den Zeiten (vor allem früh morgens), wenn die Campinggesellschaft mangels sanitärer Anlagen zwecks Körperhygiene die Soca zum Schaumparadies umwandelt (siehe Foto). 

Insbesondere die Kinder waren eigentlich ständig am oder im Wasser, entweder nur zum Abfrischen oder auf Flussfahrt mit Melanies Kajak. Nick hatte sogar seine Angelausrüstung mit und so beschlossen die drei größeren Jungs, das ihre zur Versorgung der Truppe beizutragen. Am vierten Urlaubstag krochen sie bereits um kurz nach fünf Uhr aus den Schlafsäcken und hatten nach zwei Stunden schon den ersten stattlichen Fisch, eine Regenbogenforelle, am Haken: 46cm lang! Das weckte natürlich den Jagdinstinkt, und so legten sie sich weitere sechs oder sieben Stunden auf die Lauer, mit dem Erfolg, eine noch größere, etwas exotisch aussehende Forelle (irgendeine uns unbekannte Unterart) an Land zu ziehen (Länge: 52cm).

Der Einkaufszettel wurde für diesen Tag natürlich entsprechend auf die Beute aus der Soca abgestimmt. Am Abend dann ließ Knappei sein ganzes Kochgeschick aufblitzen - er zauberte ein wirklich geniales vollwertiges Menü, wie man es in einem Spezialitätenrestaurant kaum besser erwarten dürfte:

Forelle aus der Pfanne mit Wurzelgemüse-Sauce, Salat, verschiedenen Beilagen, sogar eine Vorspeise war dabei; dazu gab’s, natürlich, den obligatorischen Wein ...! Außerdem hatte er auch an eine Ersatzmahlzeit (Würstel und Kartoffel) für alle diejenigen gedacht, welche Fisch von ihrem Speiseplan verbannt haben.

Es war in diesem Urlaub allgemein erstaunlich, was Knappei so alles mit primitivsten Mitteln auf den Tisch zauberte. So standen einmal sogar Kaspreßknödel am Speiseplan (immer natürlich mit entsprechenden Beilagen und Salaten). Da nur eine kleine Pfanne zur Verfügung stand (die extra noch zu diesem Zweck im nächsten Ort eingekauft worden war), musste das ganze in mehreren (insgesamt sieben) Durchgängen zubereitet werden, was fast fünf Stunden in Anspruch nahm – kein Wunder unser Chefkoch hatte es zum Schluss auf über 50 Knödel gebracht. Da die Dinger auch noch entsprechend groß waren und gut sättigten, waren wir eigentlich schon nach knappen zwanzig dieser Kaloriengranaten vollends bedient (der Rest – siehe Foto – wurde dann am nächsten Tag, bereits zum Frühstück, in Angriff genommen und war bis zur nachmittäglichen Brotzeit schon aufgebraucht). 

Fazit: Es wurde sehr viel schmutzige Wäsche gewaschen, neue Gerüchte in die Welt gesetzt, Halbwahrheiten mit massiven übertreibungen versehen und über alle Leute hergezogen, die sich mangels Anwesenheit nicht zur Wehr setzen konnten (im Grunde war’s also, wie bei jedem normalen Stammtischabend, bei dem der Frauenanteil überproportional hoch ist).

.. ein solcher Schlummertrunk reicht, regelmäßig angewendet, für einen normal konstituierten Mitteleuropäer wohl aus, um einer Frühverrentung getrost entgegenblicken zu können.

Am schlimmsten Ausfall während dieses Urlaubs war vor allem das mitgereiste Weibsvolk (+Knappei) beteiligt.  Ich selbst kann wenig über den späteren Verlauf dieses Barabends sagen, da ich mich frühzeitig (weicheimäßig) in die Federn verzog. Ich will aber versuchen, meine ersten Eindrücke des Folgetages wiederzugeben:

Es begann, als ich etwa um sechs Uhr durch einen animalisch schrillen Krächzlaut, dessen Quelle sich offenbar direkt neben meiner Schlafkoje (=Ford/Galaxy) positioniert hatte, aus dem Schlaf gerissen wurde. Der sirenenartige Lärm konnte als Wortfolge ‚Guten Morgen’ gedeutet werden, woraus ich bei aller Widersinnigkeit auf einen menschlichen Ursprung schloss. Welche Laune der Natur aber hatte ein menschliches Wesen mit einer solchen Stimme ausgestattet? Noch einmal durchschnitt der schrille Morgengruß lautstark den noch schlummernden Campingplatz. Um größeres übel zu verhindern, musste ich nun schnell handeln – ich schoss aus meinem Schlafsack hervor und schmetterte der Lärmquelle entgegen: „Angiiiieee, halt’ de Babm ...!“ – Nach dem wohl nett gemeinten ‚Weckruf’ war mein Adrenalinspiegel nun jedenfalls bis knapp an die Kollapsgrenze gestiegen, an Schlafen war also nicht mehr zu denken. Ich kroch also aus dem Auto und nahm erst ’mal die nähere Umgebung in Augenschein. Angie hatte sich wieder verzogen, alles war also ruhig, soweit nichts Besonderes! Außer ... Knappei ... er kauerte halb sitzend bei offener Tür hinter dem Lenkrad seines Autos! Er schien zu schlafen - schon etwas seltsam, zumal einige Meter neben dem Auto sein Zelt stand mit einer bequemen Luftmatratze und einem kuschligen Schlafsack. Das musste ich mir etwas genauer ansehen: Seine Schlafhaltung entbehrte wirklich jeglicher Grazie, er lag halb aufs Lenkrad gesunken, halb nach der Seite geneigt und auf den Schalthebel gestützt. Scharfsinnig begann ich die Möglichkeiten durchzuspielen, warum jemand wohl seine Nachtruhe derart entstellt zu verbringen pflegt: „Masochismus – nein wohl nicht, die Schlafhaltung war zu pervers, als dass sie jemand freiwillig einnahm! Dann scheidet ein anderes Fetischmotiv wahrscheinlich auch aus! Was bleibt also noch? ... der muss total besoffen sein!“

Das erklärte wohl auch, warum Angie zuvor so erbärmlich vor meinem Auto rumgekreischt hatte – die war wohl auch nicht ganz nüchtern! Ich sah zu ihrem Auto rüber, in das sie sich offenbar zum Dösen verzogen hatte. Die Hecktüren waren weit geöffnet. Seltsam, davor stand irgendein Fremder, der hin und wieder einige Sätze (wohl in Englisch) an das Inventar des Wagens richtete. Gedanken­versunken malte ich mir aus, was wohl am Vorabend alles so vorgefallen sein mag, als ich plötzlich an die Hand gestupst wurde. Mathias sah zu mir hoch (scheinbar war auch er von Angies Morgengruß geweckt worden) und mit einem Kopfnicken deutete er zum Hecktürtypen hinüber: „Baschdei, de Angie hat an Freind ...“, kurze bedeutungsschwere Pause und dann mit steinerner Mine  "... an Ausländer!" Ich musste laut lachen ...

... zwei Stunden später war die gesamte Mannschaft (einige, wie zu erwarten, schwer angeschlagen) dann wieder auf den Beinen. Aufgrund diverser Andeutungen und versteckter Hinweise konnte man sich das Geschehen des Vorabends einigermaßen zusammenreimen.

Heidi beispielsweise ermahnte die beiden Kleinsten mehrmals, heute nicht hinter den Zelten zu spielen. Zunächst wusste kaum einer so recht, was ihr an diesem Morgen so durch den Kopf ging!? Später erfuhr ich dann, dass ihr offensichtlich in der Nacht schon diverses durch den Kopf gegangen war, nämlich vor allem das letzte Abendessen. Dieses befand sich nun in mehreren wohlgeordneten Haufen hinter den Zelten!

Der Haufenbildung vorangegangen war gestern offenbar auch eine weitreichende Verbrüderungsaktion mit sämtlichen Campingnachbarn. Sobald Heidi nämlich am heutigen Tag in deren Sichtweite kam, wurde sie mit lautstarkem und freudigem Gebrüll begrüßt.

Zwei besonders kontaktfreudige Vortagsbekanntschaften (vom äußeren her wahrscheinlich slowenische Hecken­schützen aus dem letzten Bürgerkrieg – nach oben erwähnter Einteilung reinrassige Tragerltypen) ließen es sich dann auch nicht nehmen, uns beim Frühstück Gesellschaft zu leisten. Die beiden hatten die Nacht über durchgemacht, und nuckelten auch jetzt noch in einer Tour an einem halb gefüllten Kanister ‚Capuccino’ – zumindest nannten sie den billigen Rotweinfusel im 5l-Plastikgebinde so! Da auch wir einem kleinen Frühschoppen nicht abgeneigt waren, musste bald ein zweiter Kanister geöffnet werden. Zum Schluss gab’s dann noch eine Pulle JackDaniels (was wäre wohl auch passender gewesen für einen kleinen Umtrunk um 10 Uhr morgens, wenn nicht ein gepflegter Whiskey). Jedenfalls waren unsere Gäste nach einer Stunde vollkommen breitgebügelt und begannen slowenische Kampflieder anzustimmen. Auch eine längere Luftgitarreneinlage wurde noch geboten (von der Choreographie durchaus vergleichbar mit Mackei’s Instrumentaleinlagen – etwas appetitlicher vielleicht!). Als dann endlich die ersten Kinder vor Angst zu weinen begannen und Zuflucht bei Melanie und dem Widerer Franz suchten, wurde das Frühstück aufgelöst  ...

So turbulent der Tag angefangen hatte, so setzte er sich auch fort ... Knappei trat wieder in Aktion:

Beim Frühstück auf den Geschmack gekommen, ließ er es sich nicht nehmen, heute bereits am frühen Nachmittag die Bar zu konsultieren, „... nur ’moi schau’n, wos so los is!“ Offenbar war was los, denn er tauchte etwa eine Stunde nicht mehr auf. Als er dann von der Bar mit ‚fuchtigen’ Bewegungen zurückkehrte, fiel gleich auf, dass er die Lippe etwas hochzog. „Scheiße, Wespm in’d Lädschn gschdocha“, war sein einziger Kommentar.

Was nun geschah hätte ihm, falls filmisch dokumentiert, wohl einen Oskar für die Hauptrolle in ‚Dr.Jakyll und Mr.Hyde’ eingebracht, Knappei legte nämlich eine astreine Metamorphose auf’s Parkett: Innerhalb 30 Minuten durchlief sein Gesicht sämtliche erdenkbaren Stadien – zunächst (der Normalzustand) eher eingefallen, dann mit gesunden Konturen, später wohlgenährt, bis hin zur ‚rausgfressenen Gwandlaus’ (Zitat Arno). Mit fast bis zu den Augenbrauen hochgezogener Lippe stagnierte dann endlich sein Zustand im Stadium ‚Michelin-Männchen’!

Es sah wirklich ernst aus, deshalb vermieden wir auch jegliche Späße, obgleich sich so mancher Kommentar förmlich aufgedrängte (komischer Weise musste ich, obgleich Knappei keinen Buckel hatte, ständig an einen Glöckner denken)! Pausbäckchen nahm’s aber, trotz offensichtlicher Schmerzen, recht gelassen. Das mag vielleicht auch daran gelegen haben, dass es nun keinen Vorwand mehr brauchte, sich diverse pharmazeutische Lustigmacher einzuverleiben. Ich glaube es waren fast zehn Tabletten aus Melanies Notfallköfferchen, die Knappei eingeworfen hatte, bis die Schwellungen letztendlich zurückgingen. Wie gesagt, ein turbulenter Tag ...

Wenn wir tagsüber nicht gerade der Soca beim Baden huldigten, so waren wir zum Fliegen unterwegs. Vom Campingplatz bis zur Parkmöglichkeit unterhalb des Startgeländes amKobala fährt man mit entsprechender Motorisierung nicht viel länger als 30 min.; nach weiteren fünf Minuten Gehzeit(breiter Forstweg) erreicht man schließlich den Startplatz. Dieser liegt, Luftlinie etwa 5 km, südlich zum Städtchen Tolmin auf etwa 1100m NN (Höhendifferenz zum Talgrund etwa 900m) und kann nach Paraglide-Kriterien wahrlich als ideal bezeichnet werden: 

Der weitestgehend baumfreie Grat (‚Ridge’) verläuft etwa in Nord-Süd-Richtung und ragt so fingerförmig mehr als 100m waagrecht aus dem eigentlichen Gebirgszug heraus. Diese exponierte Lage führt dazu, dass der Wind meist völlig laminar, dafür aber desöfteren auch etwas stärker ansteht (Rückwärtsstarten ist angesagt). Platz zum Auslegen ist hier mehr als genug (wenngleich es besonders am Wochenende auch mal recht voll werden kann – der Startplatz wird auch von Drachenpiloten gerne genutzt). Oben noch völlig flach fällt der etwa 30 m breite grasbewachsene Grat dann nach beiden Seiten – Ost und West - mäßig steil ab, das Gelände ist also besonders für diese beiden Windrichtungen geeignet (ich kann mir aber eigentlich auch nicht vorstellen, dass der Wind aus einer anderen Richtung anstehen könnte, da die ‚Startridge’ senkrecht zum dortigen Talverlauf steht).

Die Umgebung um den Kobala war in dieser Saison Startpunkt für viele sehr weite Streckenflüge. Meist geht es über Kobarid mit Hauptrichtung Westen bis weit nach Italien hinein (Gemona oder sogar Meduno/Aviano) und anschließend wieder zurück (als Beispiel ist in der unteren Abbildung die GPS-Aufzeichnung eines slowenischen Piloten – Joze Molek - wiedergegeben; daraus sind auch die topologischen Verhältnisse der Gegend nachzuvollziehen). Sehr große Maximalhöhen darf man hier offensichtlich auch während der Hauptstreckenflugzeit nicht erwarten (kaum mehr als 2500 m). Während unseres Urlaubs ging’s immerhin noch manchmal über die 2000m-Marke raus. Der Wind, der das Socatal hinaufpfeift, kann sehr stark werden, so dass man auch im Spätsommer noch zwar leicht bis Kobarid fliegen kann, der Rückflug aber (besonders, wenn man einmal etwas niedriger kommt) oft schwer ist.

Offizielle Landeplätze für den Kobala gibt es zwei (beide riesig und ohne erwähnenswerte Schwierigkeiten): Der erste liegt gleich am Fuß des Berges, ist also auch mit jedem noch so alten Fetzen erreichbar; der zweite findet sich unmittelbar an der Socabrücke, welche als Zufahrt von der Hauptstraße nach Tolmin hin dient (ebenfalls im Gleitwinkelbereich). Wir landeten während des Urlaubs eigentlich immer im Campingplatz selbst, welcher noch etwas weiter entfernt ist; angesichts der sehr guten thermischen Verhältnisse an den Hängen entlang des Talverlaufs dürfte diese etwas weitere Flugstrecke aber sicher auch für kaum jemanden ein Problem darstellen.

Wie gesagt, thermisch ging’s noch recht anständig und so war der Nachmittag jeweils voll für’s Fliegen verplant. Lediglich an einem der sechs Urlaubstage war keiner von uns in der Luft, es sah sehr nach Gewitter aus und erschien uns deshalb als zu gefährlich.

Wir mussten uns also die Zeit anders vertreiben ...

... Der mittlere Spross von Heidi, Xaver (8), hatte tags zuvor mehrmals verlauten lassen, dass es für ihn sicher kein Problem darstellen würde, von Slowenien aus alleine und ohne fremde Hilfe die Reise nach hause zurück zu bewältigen. Nach einem kleinen belanglosen Streit mit Nick (12) bekräftigte er seine Aussage und lag uns nun schon länger als eine Stunde in den Ohren, dass er ‚sofort’ heim wolle. Xaver schrie also förmlich nach einem kleinen Denkzettel und zwar so laut, dass plötzlich auch Nick nach demselben verlangte – er wolle auch augenblicklich zurück nach Reichenhall.

Ich beschloss also das Spiel mitzumachen und erklärte den beiden, dass ich ohnehin meine Zelte abbrechen wolle und nach Villach zurückfahre, wo ich am darauf folgenden Tag in der Arbeit erwartet würde.

„Eigentlich wollte ich erst am Abend abhauen, aber wenn ich euch einen Gefallen damit tue ... Ich werd’ euch also bis Villach mitnehmen, da setz’ ich euch dann in den Zug. Ihr müsst anschließend nur noch etwa dreimal umsteigen und dürftet’s so um Mitternacht am Reichenhaller Bahnhof ankommen! Wenn’s eure ‚Aufsichtsberechtigten’ erlauben!? - Heidi, Melanie, wie schaut’s aus ...?“

„Ja, ja, nimm die zwei nur mit ...!“

Zunächst spötteln und Angeberei, die ‚Aufwiegler’ schenkten mir also keinen Glauben. Also begann ich meine wenigen Campingutensilien im Auto zu verstauen – das spornte die kleinen Aufschneider aber offensichtlich noch mehr an.

Nun gut, ich hatte mit der Vorstellung begonnen, jetzt musste ich sie also auch durchziehen:

„Holt’s euch die Ausweise von euren Müttern und setzt’s euch beide gemeinsam auf die Beifahrerseite!“ Für den Urlaub hatte ich außer für den Fahrer und Beifahrer alle weiteren Sitze aus meinem Galaxy ausgebaut und so kauerten Nick und Xaver gemeinsam neben mir im Fonds des Fahrzeugs, als wir langsam aus dem Campingplatz rollten und schließlich dem Wegweiser ‚Predil’ Richtung Norden folgten. Nun schien ihnen langsam doch etwas mulmig zu werden. „Aber die lassen uns ja sowieso nicht über die Grenze ... wenn uns die Polizei aufhält, zwei Leute auf einem Beifahrersitz, da wirst aber Strafe zahlen ... wir haben gar kein Geld für den Zug ab Villach ...“, mit solchen und ähnlichen Sätzen versuchten Xaver und Nick offensichtlich ihre Angst zu überspielen und mir klarzumachen, dass sie immer noch an eine Finte glaubten. Ich ging gar nicht groß auf das Gerede ein und begann, ihnen zunächst unsere vermeindliche Fahrstrecke zu erklären und einen Zeitplan bis zum Villacher Hauptbahnhof aufzustellen. Dann fing ich damit an, ihnen ganz beiläufig einige Geschichtchen über Slowenien zu erzählen, ... dass es früher ein Teil Jugoslawiens war, ... dass Jugoslawien sehr streng, fast schon menschenverachtend regiert wurde und man oft wegen kleinen Vergehen lange ins Gefängnis wanderte, ... dass gerade die Beamten bis heute noch äußerst rigoros durchgreifen und ... dass die schlimmsten Staatswächter in diesem Land wohl die Grenzpolizisten sind ...!

Nun fuhren wir schon etwa zwanzig Minuten und je länger die Fahrt dauerte, desto offensichtlicher wurde meinen Beifahrern, dass ‚der Baschdei scheinbar doch keine Scherze treibt’! Nun erhielt ich auch noch einen Anruf – ein Arbeitskollege, der eine belanglose Auskunft brauchte – perfekt! Nachdem ich ihm kurz Antwort auf seine Frage gab, verabschiedete ich mich und beendete, von meinen Mitfahrern unbemerkt, durch einen Tastendruck das Telefonat. Den Hörer immer noch am Ohr, tat ich dann aber so, als ob ich das Telefonat mit meinem Arbeitskollegen fortsetzte: „Wart’ noch schnell ... du bist doch fast jedes Wochenende in Slowenien!? Ich war jetzt fünf Tage dort und fahr g’rade heim. Das Problem dabei: ich hab zwei kleine Beifahrer und nur einen Sitz, wie komm ich über die Grenze und ist das ganze sehr gefährlich? ... Nein, Scheiße ...! Aber die Kinder werden’s doch nicht ...? So ein Mist ...!“ Nach drei Minuten imaginären Telefongesprächs legte ich dann mit steinerner Mine das Handy weg und musste erstmals volle Körperbeherrschung zeigen, um nicht laut loszulachen.

Meine beiden Mitfahrer wurden nun sehr ernst, zumal ich merkte, dass sie sich schon nicht mehr so recht orientieren konnten. In der nächsten größeren Ortschaft benutzte ich einige kleinere Straßen und fuhr dann wieder in Richtung Süden, auf unseren Campingplatz zu. In der Folge nahm ich eine andere relativ verwinkelte Strecke, so dass der Richtungswechsel den zwei kleinen Scheißern nicht auffiel. Ich begann Pläne zu schmieden:

„Paßt’s auf! Ich hab nur einen Beifahrersitz, kann also nur einen von euch beiden mit über die Grenze nehmen! Das heißt, der andere muss vor der Grenzstation aussteigen und zu Fuß durch die Kontrollen!“

Betretenes Schweigen! Dann der Einwurf - „Aber da lassen’s ein Kind, wie uns, doch sicher nicht alleine drüber, ...!“

„Habt’s Recht, aber dann bleibt nur eins: wir müssen einen von euch über die Grenze schmuggeln!“ Mit Nick konnte ich das Spiel sicher nicht bis zu Ende durchziehen, deshalb ... „Xaver, du bist der kleinere, dich kann man einfacher verstecken ...!“ Ich hielt an einer Straßenbucht an, stieg aus und begann die Ladefläche des Galaxy umzuräumen. „Geh her, da is mei Schlafsack, da kauerst di nei! Am besten verkriachst di im unteren Teil, dem Fußsack und haltst di völlig ruhig! In etwa fünf Kilometer kommt dann die Grenz, wenn’s d’ ganz staad bist und di need riast, ham’ ma’s boid ...!“

„Aber wenn’s mi finden, was is dann?“ „Dann ham ma alle drei Pech g’habt ...!“

äußerst widerwillig und sichtlich aufgeregt kuschelte sich Xaver also in den Schlafsack.

Mit einer Sache hatte ich nicht geschwindelt - es waren wirklich noch fünf Kilometer - aber nicht bis zur Grenze, sondern bis zur Einfahrt zu unserem Campingplatz! Ich fuhr also los, nicht sehr schnell, nein gar nicht, im Gegenteil, ich ließ mir richtig Zeit, fast Schrittempo!

Hatte ich schon erwähnt, dass es sich bei meinem Schlafsack um ein Daunenprodukt handelt, welches, obwohl älteren Baujahrs, sicher noch einen Komfortbereich um 0°C bietet? In diesem Zusammenhang - hatte ich bereits erwähnt, dass die Temperatur auch an diesem Tag wieder gut über 30°C/im Schatten lag? Wie auch immer, ich musste mir jedenfalls sicher keine Sorgen machen, dass sich Xaver Frostbeulen während unseres kleinen Ausfluges holen würde!

Nun passierten wir einen Wegweiser, der unseren Campingplatz ankündigte! Ich fokussierte Nick, den Zeigefinger quer an meine Lippen gedrückt, um ihm zu zeigen, dass er ‚dichthalten’ solle. Der Junge hatte den Wegweiser auch bemerkt, meine Geste aber gleich begriffen und spielte nun prima mit.

Xaver lag, hermetisch verpackt, lange Zeit absolut still im Heck des Wagens und gönnte sich, trotzdem wir immer noch nicht am ‚Grenzposten’ waren, auch nicht die kleinste Bewegung – ja, wirklich toll welche Ausdauer der Junge an den Tag legte. Wir beiden im Fonds des Fahrzeugs unterstützten ihn aber auch nach Leibeskräften - hin und wieder nämlich, wenn wir das Gefühl hatten, dass unser blinder Passagier einen unaufhaltsamen Bewegungsdrang verspürte, oder wenn der Mief im Daunenversteck wohl zu unerträglich wurde, riefen wir ein paar ermahnende Worte nach hinten und sofort war das nervöse Zucken wie abgestellt.

Ach ja, hatte ich schon erwähnt, dass unser Campingplatz keine richtige Gelegenheit bot, eingehende Körperhygiene zu betreiben? Das war natürlich umso fataler, als wir beim Fliegen regelmäßig den halben Tag in den Bergschuhen verbrachten! In diesem Zusammenhang – hatte ich bereits erwähnt, dass sich Xaver wirklich streng an meine Weisung hielt, sich genau im unterem, dem Fußteil des Schlafsacks zu verkriechen. Im wahrsten Sinne des Wortes – atemberaubend! 

Nach insgesamt etwa 50 Minuten Ausflug rollten wir nun wieder in den Campingplatz, Zeit also das Finale einzuleiten: „Xaver, ganz ruhig iaz, da vorn is de Grenz! De Beamten schaun wirklich grimmig aus!“ Die Zurückgebliebenen warteten offensichtlich schon auf uns, sehr erstaunt, dass wir so lange unterwegs waren. Mit eindeutigen Grimmassen und Gesten gab ich ihnen aus dem Wagen heraus zu verstehen, dass sie leise sein sollten. Ich brachte den Galaxy direkt neben Melanies Camper zum Stehen und drehte das Fenster herunter. Dann begann ich ein fingiertes Gespräch, genauso, als ob ein slowenischer Zöllner mein Gegenüber wäre. „Guten Tag“, mit Blick auf Nick, „ ... das  ist der Junge einer Bekannten, der mit mir nach Deutschland zurückreist ... nein, nichts zu verzollen! Hinten liegt eigentlich nur mein Gleitschirm und ein paar Campingsachen, sie können sich ruhig davon überzeugen!“ Ich stellte den Motor ab und stieg aus nudem Wagen aus. Kurz bevor ich die Tür zuschlug, zischte ich noch leise eine Warnung nach hinten – „Xaver, ruhig jetz’, de durchsuchen das Auto ...!“ Dann öffnete ich mit einem Ruck die Hecktür des Wagens und redete, wie ein Wasserfall, auf den nicht vorhandenen Zöllner ein. Nebenbei begann ich, einige meiner Sachen wieder aus dem Auto zu räumen: „Sehen sie, das ist nur mein Gleitschirm, hier mein Campingstuhl, ... Kühltasche, ...Kleidung, ...“

.Zum Schluss kam ich endlich zum Schlafsack und ich begann leicht daran zu ziehen. Xaver krallte sich offenbar verzweifelt an der Innenseite fest um nicht enttarnt zu werden. Mit etwas kräftigeren Handgriffen gelang es aber dann doch, den Jungen aus dem Daunensack ‚schälen’, wodurch dem Spuk dann, überfällig, ein Ende gemacht war ...

... auch Minuten später wurde ich das Gefühl nicht los, als ob Xaver, wenngleich erleichtert, noch immer sehr verschreckt sei, was aber auch an seinem hochroten Kopf (wegen Hitze und Mief im Schlafsack?) gelegen haben kann. Freut mich jedenfalls, dass ich die zwei Abenteurer so schön drangekriegt habe!

Andererseits muss ich Nick und vor allem Xaver aber auch ein Kompliment machen; die zwei hatten während des ganzen Ausflugs nicht ein einziges Mal darum gebeten, umzukehren. Sie hätten wohl tatsächlich versucht, sich alleine nach hause durchzuschlagen – mutig!!! Insofern muss ich die Betitelung ‚Aufschneider’, welche ich den beiden obig gegeben habe, reumütig zurücknehmen.

Die ganze Aufregung hätten sich die beiden aber auch sparen können, denn am nächsten Tag wurde es schlechter Wetter und somit ging’s (diesmal ohne Täuschungsmanöver) wirklich nach hause zurück ...

... war wirklich ein schöner Urlaub!!!

(Text/Fotos: H.Weber)